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Der wahre Gianni
Der wahre Gianni

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Giovanni Di Stefano kam im Dezember 1939, als viertes von fünf Kindern, auf dem Landgut Magnì nahe der sizilianischen Barockstadt Ragusa zur Welt. Er war ein aufgewecktes und neugieriges Kind mit leuchtend blauen Augen, die alles und jeden untersuchen zu wollen schienen. Er schrieb bereits in jungen Jahren Gedichte und hatte Spaß an Wissen und Erfindungen. Das entbehrungsreiche Leben seines Vaters, der als Bauer ein Stück wertloses Land von einem adligen Grundbesitzer gepachtet hatte und der mit harter Arbeit seine Familie gerade eben so durchbringen konnte, schien ihm kein erstrebenswertes Lebensmodell zu sein. Ebensowenig wie die Pläne der Familie, ihn als zweitjüngsten und offensichtlich begabtesten Sohn in die Obhut der Kirche zu geben und im Seminario in Siracusa zum Priester ausbilden zu lassen. Nach bestandenem Abitur und den ersten Semestern im Seminario beschloss Gianni, zu fliehen.

Er hatte im Sommer 1960 von einem deutschen Touristenpaar von den Chancen in Deutschland gehört. 1955 hatten damals auf Drängen Ludwig Erhardts der deutsche Bundesarbeitsminister Anton Storch und der italienische Außenminister Gaetano Martino in Rom ein deutsch-italienisches Anwerbeabkommen unterschrieben. Während in Süditalien eine hohe Arbeitslosigkeit herrschte, konnten im deutschen Wirtschaftswunderland gar nicht genug Arbeiter für Landwirtschaft, Berg- und Straßenbau und später auch für die Automobilindustrie eingestellt werden. In Italien wurden die Bewerber von den italienischen Behörden bereits »vorsortiert«. Nach Ausbildung, Gesundheit und Familienstand wurden sie in sogenannten Sammeltransporten den entsprechenden Regionen Deutschlands zugeführt: manche nach Köln, manche nach München. Manche kamen auch auf eigene Faust ins gelobte Deutschland. So wie Giovanni.

Er kam zunächst in Köln an, zog dann weiter nach Sylt und landete schließlich in West-Berlin. Dort lernte er Karla, seine spätere Frau, kennen. Er gründete eine Familie und eröffnete neben dem »Il Gattopardo«, einem der ersten italienischen Promi-Hotspots der geteilten Stadt, weitere Restaurants. Auch wenn er selbst den Deutschen eher die gehobene italienische Küche nahebringen wollte, blieb die Nachfrage nach Pizza bei seinen Gästen bestehen. Anfangs wollte er nur seine eigenen Restaurants entlasten und ließ ab 1967 seine Pizzaioli Pizzaböden in einer eigens angemieteten Bäckerei manuell vorfertigen und einfrieren. Das Konzept der »Pizza-Versandbäckerei« wurde ein Erfolg und innerhalb kürzester Zeit exportierte Gianni 1000 Stück der gefrorenen Teigböden bis nach Italien. Auch weitere Erfindungen jener Zeit, wie die bis heute genutzte hydraulische Getränkehebeanlage für die Gastronomie, gehen auf sein Konto.

1972 fragte Dr. Oetker bei der »Pizza-Versandbäckerei« an. Man hatte dort die Trends der Zeit erkannt und wollte das Tiefkühlgeschäft ausbauen. In Europa gab es bislang nur einen weiteren Produzenten für Tiefkühlpizzen: den Pizzabäcker Romano Freddi aus Mantua, der die Produktion ein Jahr nach Giovanni aufgenommen hatte und seit Beginn der 1970er Jahre den Lebensmittelkonzern belieferte. Dort schrieb man einen Pitch aus, den die »Pizza-Versandbäckerei« gewann. Giovanni Di Stefano zog mit der kleinen Manufaktur auf das ehemaligen Bolle Gelände in Berlin-Moabit und eröffnete dort eine Fabrik. Er optimierte Rezept, Produktion und Verpackung, entwickelte mit der Firma Linde neuartige Kühlstraßen für die Produktion, konstruierte neuartige Fertigungssysteme und belieferte schließlich Supermärkte und Dr. Oetker mit 150.000 Stück monatlich. Deutschland wurde tiefkühlpizzaverrückt: Mary Roos sang den Happy-Pizza Song. Es gab Pizza-Puzzle, Pizza-Schneider und Pizza-Teller. Es war eine Erfolgsstory, wie sie im Buche steht.

Aber Giovannis Glück war nicht von Dauer: Die Organisierte Kriminalität, Schulden und eine heimtückische Krankheit sorgten dafür, dass schließlich der bayrische Geschäftsmann Ernst Freiberger die Fabrik übernahm und damit den Grundstein für sein Lebensmittelimperium legte.

Im Februar 1978, mit nur 38 Jahren, starb Giovanni in Berlin. Er hinterließ seine Frau Karla, seine Tochter Patrizia und seinen Sohn Daniele. Giovannis Geschichte geriet in Vergessenheit

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